Warum man wahrscheinlich keinen Chatbot braucht - oder der Unterschied zwischen Chatbots und Conversational Agents

22. Februar, 2022 | Anna Rausch

Chatbots und Conversational Agents sind nicht dasselbe. Es gibt noch häufig Verwechslungen, Unklarheiten und falsche Vorstellungen. In diesem Artikel möchte ich mit diesen Begrifflichkeiten aufräumen, denn auch wenn jeder mittlerweile schon einmal irgendwie von Chatbots und Conversational Agents gehört hat, herrscht noch immer (begriffliche) Verwirrung.

Der feine Unterschied zwischen Chatbots und Conversational Agents

Selbst im wissenschaftlichen Bereich gibt es nicht die eine wahre Definition des Begriffs “Chatbot”. Ein typischer Fall von: “Jeder spricht darüber, aber niemand weiss genau, worum es eigentlich geht.”

Nehmen wir den Begriff also einmal unter die Lupe: Ein Chat ist eine rein informelle Unterhaltung. Spontan, zufällig, ein lockerer Plausch, eine Unterhaltung, die ungeplant und ohne konkretes Ziel stattfindet. Ein Chatbot ist ein Roboter, der eben solch eine Unterhaltung führen kann.

In der überwiegenden Mehrheit der Business-Cases ist so etwas gar nicht gefragt. Es soll häufig ein Task automatisiert werden, bei dem meist auf effiziente Weise strukturiertes Spezialwissen vermittelt werden soll – beispielsweise die Automatisierung von FAQ-Beantwortung und somit handelt es sich um einen Conversational Agent. Während Chatbots dazu da sind, einen menschlichen Gesprächspartner beim ChitChat zu simulieren, können Conversational Agents (CAs) dem Benutzer über ein natürlichsprachliches Interface dabei helfen, solche Aufgaben zu erledigen.

Conversational Agents werden nie einen Turing-Test bestehen

Die Unterschiede zwischen Chatbots und CAs lassen sich auch über die Betrachtung des Turing-Tests verstehen. Er ist bis heute eine wichtige Messlatte für Chatbots und Artificial Intelligence. In Alan Turings Arbeit “Can Machines Think?” beantwortete er die titelgebende Frage folgendermaßen: “We need not decide if a machine can „think“; we need only decide if a machine can act as intelligently as a human being.”

Turing entwickelte einen Test, der künstliche Intelligenz in ihrer höchsten Stufe (= über ein Ausdrucksmittel zu verfügen, dass ähnlich mächtig, wie die menschliche Sprache ist) messbar macht, indem er eine Maschine als Gesprächspartner von menschlichen Juroren testen lässt. Sie haben dann zu entscheiden, ob es sich bei ihrem Gegenüber, mit dem sie via Textinterface kommunizieren, um einen Menschen oder um eine Maschine handelt.

We need not decide if a machine can „think“; we need only decide if a machine can act as intelligently as a human being.

Alan Turing

Bis heute hat weltweit kein Chatbot den Turing Test vollständig bestanden. Im Businesskontext sind eher Conversational Agents gefragt, die dem Benutzer helfen, über ein natürlichsprachliches Interface (Text oder Sprache), bestimmte Aufgaben abzuarbeiten. Sie können zum Beispiel über Spezialwissen, wie FAQs, informieren, einen Flug buchen oder eine Route im Navigationssystem eines Autos anpassen.

Die meisten Business-Cases verlangen nach einem Conversational Agent

Kein Unternehmen will mit falscher Rechtschreibung oder irrationalem Verhalten auffallen, die unter anderen “Language Tricks” bei Chatbots eingesetzt werden. Für eine Businessaufgabe braucht es Verlässlichkeit, Stringenz in der Konversation und Effizienz. Vielleicht sollte ein natürlichsprachliches Interface ja gar nicht allzu menschenähnlich sein. Es gibt keinen Grund, Kunden auszutricksen und ihnen vorzumachen, sie hätten es mit einem Menschen zutun, statt mit einer Maschine. Bei heutigem Technikstand führt das nur zu Verwirrung, Verärgerung und mindert das Vertrauen des Benutzers.

Natürlich ist in der Praxis nicht immer alles schwarz-weiß und es gibt durchaus Mischformen: Beispielsweise kann eine Anekdote oder ein Fun Fact während eines Gesprächs mit einem CA die Konversation beflügeln und zur Kundenzufriedenheit beitragen. Andererseits können auch Chatbots über spezielles Domainwissen verfügen. Die Lösungen sind häufig hybrid. Man sollte sich nur früh bewusst machen, welchen Fokus man legt und welche Technik- und Designbasis im Projekt also von Nöten sind.

Die Definition von Sinn und Zweck macht den Unterschied

Auch wenn die von SciFi und Marketing geprägten Vorstellungen über Chatbots bisher unerreichbar sind und es noch vielfältige Herausforderungen für Natural Language Processing gibt, kann die Maschine den Menschen durchaus in vielerlei Hinsicht unterstützen und zwar eben genau dadurch, dass sie ist, was sie ist: Eine Maschine und kein Mensch. Die Vorteile, die Maschinen gegenüber Menschen haben, sollte sich der Mensch unbedingt zu Nutzen machen, statt sie durch unrealistische Ansprüche an künstliche Intelligenz und das unreflektierte Designparadigma, sich selbst kopieren zu wollen, zu beschneiden. Um diese Vorteile nutzen zu können, müssen wir uns genau darüber bewusst sein, was wir zu welchen Zweck entwickeln: Anwendungsfelder für Chatbots sind nicht Problemlösungen, sondern eher Unterhaltungszwecke. Conversational Agents können durch schlaue Entwicklungsansätze Menschen via natürlicher Sprache bei Problemlösungen unterstützen und dabei 24/7 verfügbar sein.

Die Unterscheidung ist bereits vor der Design- und Entwicklungsphase unabdingbar und essentiell für den Erfolg und Nutzen des Projekts.

Die Unterscheidung ist bereits vor der Design- und Entwicklungsphase unabdingbar und essentiell für den Erfolg und Nutzen des Projekts. Conversational Agents und Chatbots basieren auf unterschiedlichen Technologien zur Realisierung (einen guten Überblick über die technologischen Unterschiede zwischen Chatbots und Conversationalen Agents findet sich im Paper “A Review of Technologies for Conversational Systems” von Julia Masche und Dr. Nguyen-Thin Le), sondern erfordern auch grundverschiedene Designansätze. Es ist eine der großen Aufgaben im Chatbot- und CA-Entwurf, Designstrategien zu entwickeln, die über Anthropomorphismus und Skeuomorphismus hinausgehen und ohne blindlings die Natur zu kopieren dem Zweck der bestmöglichen technischen Lösung dienen.

Die Aussagen in diesem Artikel spiegeln die Ansichten des Autors wieder und nicht die eines Unternehmens, einer Organisation oder Institution.

Titelbild: Photo by Mika Baumeister on Unsplash